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Das "Bike für alle Trails"   Der Kommentar: Kurze Zusammenfassung
Beinahe wäre ich darauf hereingefallen: Als ich gerade den Entschluss gefasst hatte, dass jetzt endlich ein Mountainbike her muss, kam mir - und meinem sehr knappen Budget! - ein Artikel in einem MTB-Magazin über Hardtails gerade recht.
Da standen lauter tolle Aspekte dieser Mountainbikes ohne gefederten Hinterbau:
Schön einfach, da weniger Technik und ohne "Set-Up-Orgien". Na, dann kann man doch froh sein, dass es das gibt! - wenn das mit der Grundeinstellung der Hinterbaufederung so ein furchtbares Theater sein muss!
Und: schön billig! statt mindestens 2500,- für ein brauchbares vollgefedertes Bike ("Fully") nur 1500,-!! Perfekt für meine knappe Kasse!
Dazu kamen noch weitere Vorteile: kein Dämpfer am Hinterbau, also auch kein Extra-Gewicht für die Anlenkung, Gelenke und das Federbein. Und die Wartung all dieser Technik kann man sich auch sparen!
Und das Beste kam dann noch: Mit diesen schön leichten, genial unkomplizierten, wartungsfreundlichen und super günstigen Bikes kann man auf "allen Trails Spaß haben"!
Wow!

Ok, soweit die Bike-Presse. Doch auch die freundliche Dame im lokalen Bike-Supermarkt bestärkte mich: "wo wollen sie damit fahren, im Schwarzwald, hier um Freiburg?! Nein, da brauchen Sie kein Fully, ein Hardtail genügt da absolut!"
Also, alles klar!
Nein.

Denn drei Aspekte kamen neu ins Spiel:

Mit dem Treckingrad im Bergwald unterwegs begegne ich einem Mann auf seinem uralt-MTB mit völlig abgefahrenen Reifen. Ein Hardtail. Wir kommen ins Reden. Ich entschuldige mich fast für mein komplett unpassendes Bike und beeile mich zu erwähnen, dass ich gerade dabei wäre, mir ein "richtiges" Mountainbike zuzulegen, ein Hardtail - denn das wäre ja wohl das passende hier.
Er nickt nachdenklich. Und fügt hinzu: "mache es besser als ich: kaufe Dir ein Fully! Glaube mir, Du wirst nicht jünger, und ein Hardtail strapaziert Deine Wirbelsäule."
Wow, das saß.
Warum war in dem Artikel in der MTB-Zeitung nichts davon gestanden?
Nächste Begegnung:
Ein paar Tage später sehe ich am Ende des Trails bei Freiburg viele Biker.
Aber ich sehe kein einziges Hardtail. (obwohl die alle höchstens halb so alt waren wie ich und wohl noch keine Gedanken an lädierte Bandscheiben verschwendeten)
Ich spreche einen darauf an und frage, was er vom Einsatz eines Hardtails für einen Anfänger auf den Trails hier halte. Gar nichts hält er davon. Ich solle mich nicht nach dem richten, was die im Supermarkt und in der "Bike-Bravo" erzählen. Hier auf den Trails gehe ohne Fully gar nichts.
Warum war in dem Artikel in der MTB-Zeitung nichts davon gestanden?
Und schließlich: Ein Monat später erschien in der neuen Ausgabe der MTB-Zeitschrift ein Test von "All-Mountain-Bikes".

Im Text über dies Fullys konnte ich erstaunt lesen, dass diese Bikes "für alle Berge" wirklich die richtigen wären, um auf wirklich allen Trails Spaß zu haben - und dass man dabei auch noch komfortabler und vor allem viel sicherer das Biken genießen könne. So wären gröbere Wege, Wurzeln, Stufen und Steine (also genau das, was hier um Freiburg alle Trails auszeichnet) gut zu meistern und vor allem in Kurven würde das voll gefederte Bike viel besser Bodenkontakt halten und damit die Spur.
Warum war im Artikel über Hardtails dieser MTB-Zeitung nichts davon gestanden?

Und es wird wider besseren Wissens nicht besser. Erst in der Dezember-Ausgabe 2020 einer MTB-Zeitschrift fand ich einen Text beim Foto eines Hardtails: "Das Bike für jeden Trail".
Ich sage: das ist eine satte Lüge.
Ein Hardtail ist kein Bike für alle Trails, auch und gerade nicht als Einstiegsgerät für Anfänger

- Ein Hardtail ist kein Einsteiger-MTB sondern ein Spezial-MTB für ganz bestimmte Zwecke. Normale Fahrer können damit ernsthaft und auf Dauer fast nur auf Waldstraßen fahren (keine Wurzeln, Steine, Stufen, Löcher, Sprünge, ...). Aber ich warne Neugierige: schon der erste Versuch, es doch einmal auf einem Trail zu versuchen, macht in der Regel süchtig. Dann ist das Hardtail ganz schnell überfordert und es wird kurzfristig ein Unfall fällig oder - hoffentlich - ein neues Bike. Und zwar ein Fully.
Nur sehr gute Fahrer können mit überlegenem Technik-Können mit Hardtails auch MTB-Trails gut befahren. Aber nur wenn sie wirklich sehr gut sind, sind sie dabei auch sicher unterwegs.
- die Bandscheiben / Wirbelsäule leidet unter den Schlägen vom Hinterrad des Hard(!)tails auf jeden Fall. Und lasst Euch nichts erzählen: niemand ist so fit, dass er immer die ganze Tour im Stehen bewältigt und dabei mit den Beinen federt.
Auch die jüngeren Fahrer muss ich hier enttäuschen: die Bandscheiben kann man nicht trainieren wie einen Muskel. Die kann man nur abnutzen. Dass viele Ältere über Rückenschmerzen klagen, hat daher nur wenig direkt mit dem Alter zu tun. Sondern mit Abnutzung seit den jungen Jahren.

- Das Set-Up von Fullys ist ein Kinderspiel und macht den meisten Bikern Spaß. Es gehört zu den schönen Aspekten des Mountainbikens, dass man die Technik selbst im Griff halten kann. Und wer das nicht mag: die Fachhänder stellen einem das Bike ja ohnehin passend ein.
(Online-Käufe von MTBs ist ohnehin nur Bikern zu empfehlen, die auch selbst gerne am Bike schrauben)
- für echte Infos geht man am Besten zu den Trails, auf denen man sich wohl in Zukunft meistens bewegen wird. Dort kann man beobachten, was die Mehrheit der Biker so unter dem Hintern hat.

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